„Ein ganzes Wochenende habe ich in Juniors Zimmer ausgemistet, sortiert und geputzt. Es hat keine 2 Stunden gedauert, bis das Zimmer wieder aussah wie ein Schlachtfeld.“ seufze ich ins Telefon. Am anderen Ende der Leitung meine beste Freundin, an einem anderen Ort – aber mit haargenau demselben Thema. Das, was in den Zimmern unserer Kinder geschieht, geschieht millionenfach in den Kinderzimmern anderer Familien. Zugegeben – vor allem in Mittel- und Westeuropa und in den USA. Aber dass es bei anderen auch so ist, macht es irgendwie nicht besser. Und man fragt sich, wie kann das überhaupt passieren? Man nimmt sich doch so tapfer vor, dass die Kinder nur noch weniges, sinnvolles Spielzeug bekommen sollen. Warum gibt es dann Dutzende Kuscheltiere, obwohl das Kind doch nur ein einziges heiß und innig liebt?
Machen wir uns nichts vor: Kram zieht neuen Kram magisch an. Und nicht nur bei den Kindern.
Neulich las ich, dass ein durchschnittlicher Europäer etwa 10.000 Dinge besitzt – vom Eierlöffel bis hin zur Wintermütze. Allein bei den Frauen hängen im Durchschnitt 118 Kleidungsstücke, Unterwäsche und Socken kommen sogar noch dazu! Also bei aller Liebe: Das kann doch kein Mensch tragen! Ich ertappe mich sogar dabei, nur 5-6 Outfits zu tragen. In diesen fühle ich mich wohl, sie sind bequem und ich finde mich schön darin. Ist es bei Dir ähnlich?
Außerdem las ich, dass Kinder bereits im 3. Lebensjahr Kleidung, Spielzeug und eigene Möbel im Wert von ca. 1300 € besäßen. Und das hat mich wirklich nachdenklich gemacht. Das ist wirklich viel Geld für Dinge, wenn man bedenkt, dass die Kinder nach wenigen Monaten oder gar Wochen herausgewachsen sind. Ich will jetzt auch gar nicht mit der alten Leier ankommen nach dem Motto: „Unsere Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern hatten sowas ja nicht. Die hatten gar nichts und waren froh, wenn sie eine Puppe hatten!“ Ja, das mag sein. Aber die Zeiten sind anders und wir alle profitieren von Wohlstand und Fortschritt. Keiner möchte mehr in einem Umfeld der 1940er Jahre leben. Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass eine gewissen Vielfalt förderlich für die Kinderentwicklung ist. Aber es gibt genau so viele Studien, die belegen, dass ein Zuviel nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar schädlich ist.
Und wieder frage ich mich, wo der ganze Kram herkommt? Klar – Ostern, Weihnachten, Geburtstage… Da kommt einiges zusammen, wenn Eltern, Großeltern und Tanten Geschenke machen wollen. Doch wollen Kinder wirklich so viel Besitz? Natürlich stellen schon die Kleinsten fest, dass materieller Reichtum vorteilhaft für Ansehen und Status ist. Wer im Kindergarten ein tolles Spielzeug hat, hat viele Freunde, die mit dem Spielzeug und dessen Besitzer spielen wollen. Wer in der Schule coole Klamotten trägt, ist beliebt. Aber diese „Haste was, biste was“-Mentalität ist nicht angeboren. Sie entsteht durch das elterliche Vorleben. Über Eltern, die sich über den Besitz definieren. Wer ein tolles Haus mit hochwertigen Möbeln bewohnt, genießt oft hohes Ansehen. Doch sagt diese Fassade genauso wenig über den Charakter der Bewohner aus, wie riesige Bücherregale, die suggerieren, dass das der Besitzer belesen und intelligent wäre. Manche glauben wohl, dass man sich mit materiellem Besitz eine Identität aufbauen könnte. Ohne Objekte, die um uns herum sind, könne ein Außenstehender ja nicht sehen, wer wir sind und was wir bereits erlebt und geschaffen hätten. Doch muss ich irgendjemandem etwas beweisen? Mal abgesehen von mir selbst?
Ich sehe die Erziehungsverantwortung meinen Kindern gegenüber nicht nur darin, dass die Kinder zur Schule gehen und höfliche, eigenständig denkende Persönlichkeiten werden. Vielmehr möchten wir unsere Kinder auch fit fürs Leben machen. Dazu gehört natürlich Bildung, Toleranz und gute Umgangsformen. Dazu gehört aber ebenfalls das Kennen des wahren Wertes von Dingen und die Wertschätzung von Charakter, Mut und Engagement. Und es gehört dazu, den Kindern den Mittelweg zu lehren: Jenseits von Askese und Geißel, sowie fernab von Gier und Kaufsucht gibt es einen Mittelweg, der von jedem persönlich gefunden werden muss. Und diesen gefunden zu haben, bedeutet wahres Glück.
„Wer nicht zufrieden ist mit dem, was er hat, der wäre auch nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte.“
Berthold Auerbach